Fachpresse

Mit Radsatz- und Drehgestellservice Fit for 55

Mit Radsatz- und Drehgestellservice Fit for 55

Investition in Aufarbeitungstechnologien und Prozesse für mehr Nachhaltigkeit
im Service schienengebundener Fahrzeuge

Die Instandhaltung von Radsätzen und Drehgestellen ist von entscheidender Bedeutung für die Sicherheit, Effizienz und Wirtschaftlichkeit des Schienenverkehrs. Darüber hinaus verlängert die normgemäße Aufarbeitung dieser Komponenten nach neuesten technologischen Standards die Lebensdauer von Fahrzeugen und Schieneninfrastruktur gleichermaßen und verringert dadurch insgesamt die Umweltbelastung im System Bahn.

Warum Aufarbeitung und Revision?
Das Überarbeiten von Radsätzen und Drehgestellen ist kostengünstiger als der Neukauf. Regelmäßige Revisionen und Retrofits minimieren Ausfallzeiten, und Fahrzeuge stehen schneller wieder zur Verfügung. Durch die gezielte Instandsetzung der Komponenten und der daraus resultierenden Wiederverwertbarkeit erzielen Betreiber also erhebliche Einsparungen. Zudem ist diese Form von „Upcycling“ ein nicht unwesentlicher Beitrag zum Klimaschutz auf der Schiene. Der Begriff „Fit for 55” bezieht sich auf das Ziel der Europäischen Union, im Rahmen des Klimaschutzpaketes die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 % zu senken. Aufarbeitung und Instandhaltung tragen dazu bei, den CO₂-Fußabdruck zu reduzieren, da weniger neue Komponenten hergestellt werden und der Ressourcenverbrauch entsprechend sinkt. Die verstärkte Nachfrage nach der Überarbeitung von Radsätzen und Drehgestellen trägt diesen Entwicklungen Rechnung und wird als positiver Trend im Schienenverkehr gewertet. Zertifizierte Servicewerkstätten spielen dabei eine Schlüsselrolle, um die Nachhaltigkeit des Systems sicherzustellen.

Zentrum für Radsatz und Drehgestelle
Mit dem Zusammenschluss des Bereiches Robel Service & Kundendienst mit der Deutschen Plasser zu Plasser Robel Services (PRS) erfolgten u. a. auch Umstrukturierungen im Bereich des Radsatz- und Drehgestell-Services. Um dem Nachfragevolumen und den zunehmenden normativen Anforderungen gerecht zu werden, entstand am PRS-Standort im bayrischen Freilassing ein eigenes Kompetenzzentrum in Wertstromdesign (Abb. 1) für Lauf- und Triebradsätze sowie Drehgestelle (KRD). Auf einer Produktionsfläche von 3000 m² arbeiten derzeit rund 30 Mitarbeiter nach 5S-Standard in prozessoptimierter Taktfertigung. Im Jahr 2022 wurden 130 Drehgestelle und 1300 Radsätze aufgearbeitet, seit 2023 übernimmt das Zentrum auch die Neuanfertigung von Drehgestellen für Robel. Der getaktete Ablauf in der neuen Halle ist auf zukünftiges Wachstum ausgelegt: Die Kapazitäten ermöglichen den jährlichen Durchlauf von bis zu 2500 Radsätzen und 250 Drehgestellen, unabhängig von Marke und Hersteller.

Umweltmanagement am Standort Freilassing
Neben dem Beitrag des Geschäftsfeldes zum Klimaschutz durch Upcycling statt Entsorgung liegt der Fokus auch auf den betrieblichen Umweltschutzmaßnahmen auf dem Werksgelände. Ein wichtiger Schritt in diesem Zusammenhang war die vollständige Modernisierung der Radsatz- und Drehgestellhalle.

Der gesamte Stromverbrauch des KRD wird mit Ökostrom gedeckt, der Anteil regenerativer Wärmeerzeugung liegt bei rund 80 %. Modifizierte Fertigungsprozesse und die energieeffiziente Ausstattung der Montagehalle tragen zu signifikanten Einsparungen beim Stromverbrauch bei. Zudem führen spezifische Investitionen wie z. B. die Beschaffung einer Glasperlstrahlanlage zur Reinigung von Bauteilen nicht nur zu erheblich reduzierten Staub- und Lärmemissionen, sondern auch zu modernstem Abfallmanagement im Produktionsbetrieb. Eine weitere Investition im Bereich Umweltmanagement ist die umfassende Lagerhaltung des Servicezentrums. In Freilassing lagern durchschnittlich 800 Radscheiben und 100 Achswellen sowie Verschleißteile, Zahnräder und Gehäuse aller Robel- und Plasser & Theurer-Typen. Dies erlaubt eine schnelle Reaktion auch bei kurzfristigen Aufträgen, z. B. im Rahmen von Unfallreparaturen. Um die Lagerabläufe ressourcenschonend und ökologisch weiterzuentwickeln, baut Robel zurzeit ein neues Logistikzentrum für die Teilebereitstellung, das Ende 2024 in Betrieb gehen wird. Ziel ist eine deutliche Verschlankung der Prozesse durch automatisierte Abläufe einhergehend mit weiterer CO₂-Reduktion, zusätzlich unterstützt durch Fotovoltaikanlagen und Grünflächen auf dem Dach des Gebäudes.

Überarbeitung von Radsätzen und Drehgestellen in Taktfertigung
Die Neugestaltung der Montagehalle von Grund auf ermöglichte die Installation modernster Ablauflogistik von der Anlieferung über Reinigung, Demontage und Aufarbeitung bis hin zu Spezialprüfständen in allen Fertigungsstufen. Radsätze und Drehgestelle durchlaufen die Halle in zwei räumlich getrennten Prozessen (Abb. 2). Aktuell liegen die Durchlaufzeiten für Laufachsen durchschnittlich bei vier Wochen, für Triebachsen bei sechs und für Drehgestelle bei acht Wochen. Die Durchführung aller wichtigen Prozesse an einem Standort, einschließlich zerstörungsfreier Prüfungen und Schweißen reduziert Transportwege, beschleunigt die Aufarbeitung und erhöht die Verfügbarkeit für die Auftraggeber. Die europäischen Zertifizierungen des KRD (s. Infokasten) sowie die geprüfte Expertise des Fachpersonals garantieren Sicherheit im neuralgischen Rad-Schiene-Kontakt. Sämtliche Aufarbeitungs- und Prüfschritte werden normgerecht dokumentiert. Dies stellt die für die Zulassung relevante lückenlose Nachverfolgung und Qualitätskontrolle sicher.

Ablaufbeispiel für die Aufarbeitung von Drehgestellen

Anlieferung
Der Kunde liefert das Drehgestell und/oder die Radsätze zum vereinbarten Termin im Werk Freilassing an. Die Abladung erfolgt durch PRS. Experten überprüfen die angelieferten Komponenten und gleichen diese mit dem Auftrag ab. Dieser Schritt stellt sicher, dass alle erforderlichen Teile vorhanden sind und der Prozess reibungslos fortgesetzt werden kann.

Reinigung der Komponenten
Um eine saubere Demontage durchführen zu können, werden die Komponenten vor Bereitstellung in der Halle mittels Dampfstrahlung vorgereinigt, das Schmutzwasser wird über Ölabscheider getrennt und ordnungsgemäß entsorgt.

Demontage und Sichtprüfung inkl. Ausbinden der Radsätze
Zertifizierte Sichtprüfer erfassen Beschädigungen bzw. Hinweise auf beschädigte Stellen, insbesondere Lackabplatzungen, sichtbare Verformungen etc., welche später – nach der Entlackung oder Demontage – genauer untersucht werden. Zusätzlich erfolgt eine Fotodokumentation des Anlieferzustandes. Alle Bauteile werden gekennzeichnet, um die spätere Montage sicherstellen zu können. Die Radsätze werden aus dem Drehgestell ausgebunden und in einen gesonderten Aufarbeitungsprozess (Taktfertigung in eigenem Bereich) überführt. Dieser umfasst u. a. die Demontage der Achslagerung, das Abpressen der Radscheiben per Radsatzpresse (Abb. 3) sowie die Öffnung des Getriebes.

Demontage Drehgestellrahmen
Je nach Umfang der Aufarbeitung werden alle Anbauteile, die Bremskomponenten etc. bis auf den Grundrahmen abgebaut und für das normativ geforderte Entfernen des Korrosionsschutzes vorbereitet. Alternativ findet ein Teilabbau statt, um den Rahmen in lackiertem Zustand auf Beschädigungen und Anrisse zu prüfen.

Zertifizierte Prüfstelle für zerstörungsfreie Prüfung (ZfP)
PRS betreibt eine eigene, zertifizierte ZfP Prüfstelle nach DIN 27201-7 NDT Railways. Die Prüfstelle basiert auf einer unabhängigen Prüforganisationsstruktur mit zertifizierten Prüfern nach DIN EN ISO 9712 im Industriesektor IS (Neufertigung) und Bahnsektor IrW (Wartung/Instandhaltung) für folgende Prüfverfahren: VT – Sichtprüfung (DIN EN 13018), PT – Eindringprüfung (DIN EN ISO 3452-1), MT – Magnetpulverprüfung manuell/teilmechanisiert (DIN EN ISO 9934-1), UT/PAUT – konventionelles und Gruppenstrahler Ultraschallprüfung (DIN EN ISO 16810). Die hauseigene Kompetenzstelle erstellt, verifiziert und validiert kundenspezifische Prüfanweisungen und -pläne. Der ZfP Prüfstand wurde im Unternehmen entwickelt und ermöglicht als neue Zusatzleistung auch das Prüfen der Längsbohrung. Mittels Ultraschall-Prüflanze wird die Bohrung der kompletten Radsatzwelle abgefahren (Abb. 4), ein Schallverlaufsplan regelt die Eingriffsgrenze. Je nach Umfang erfolgt eine visuelle Überprüfung in lackiertem bzw. unlackiertem Zustand bzw. eine Magnetpulverprüfung in unlackiertem Zustand. Bei Anzeichen von Defekten am Drehgestell erfolgt eine Reparaturschweißung durch zertifizierte Schweißer gemäß DIN EN 15085-2. Mit einem 3D-Messarm werden Abweichungen im Rahmen vermessen, Parameter wie Verzug und Verschleiß werden ausgewertet und entsprechend behoben.

Aufarbeitung der Anbauteile
Sämtliche Anbauteile des Drehgestells und des Radsatzes werden entlackt und aufgearbeitet. Einige davon, wie z. B. Bremszylinder und Bremszangen, gehen an zertifizierte Unterlieferanten zur weiteren Bearbeitung. Die Aufarbeitung der Hydraulikzylinder findet vollumfänglich im KRD statt: Tausch von Dichtungen und Verschleißteilen sowie Dichtheitsprüfung, Zerlegung der Klotzbremsanlage, Verschleißteiltausch und Überprüfung aller Bolzen. Schraubenfedern werden auf dem Federprüfstand auf Wiederverwendbarkeit gemäß Verband der Güterwagenhalter in Deutschland (VPI) geprüft und protokolliert. Seit 2024 bietet PRS zudem die Aufarbeitung von Kartuschenlagern (Abb. 5) an, ein weiterer Schritt in Richtung Nachhaltigkeit. Das Unternehmen besitzt bereits die dafür notwendige Zertifizierung der französischen SNCF, die entsprechende Akkreditierung der Deutschen Bahn AG (DB) ist in Vorbereitung. Die Lageraufarbeitung im eigenen Haus verkürzt die Durchlaufzeiten und erlaubt eine schnellere Beurteilung des kompletten Radsatzzustandes. Der Versand zur externen Aufarbeitung entfällt, der Kunde erhält die original verbauten Lager in dokumentierter Qualität. Die Befundung der Lager erlaubt zudem Rückschlüsse auf Unregelmäßigkeiten wie z. B. den Zustand des Lagerfettes und der Wälzkörper, welche an den Betreiber zu Optimierungszwecken weitergegeben werden.

Lackieren
Die Beschichtung der Drehgestelle, Radsätze und Anbauteile erfolgt am Werksgelände in einem umweltzertifizierten Lackierzentrum gemäß normativ zugelassenem Lackaufbau. Mittelfristig plant PRS das Strahlen der Komponenten im Haus sowie eine Erweiterung des Lackierzentrums, um durch interne Abwicklung und Kontrolle die Qualität zu steigern und Durchlaufzeiten zu reduzieren.

Endmontage
Alle vorbereiteten und lackierten Anbauteile werden auf den Drehgestellrahmen montiert, Hydraulik- und Pneumatikleitungen aufgebaut. Nun erfolgt die „Hochzeit“, das Aufsetzen des Rahmens auf die überholten Radsätze sowie das Anbringen sämtlicher Verbindungs- und Befestigungselemente.

Drehgestellprüfstand / Ausgangskontrolle
Der seit 2022 installierte Drehgestellprüfstand (Abb. 6) erfasst sämtliche Parameter nach DIN 25043-7 zur Prüfung und Einstellung der Radlasten und Drehgestellgeometrie (Tab. 1). Die korrekte Einstellung ist normativ gefordert, minimiert den Verschleiß und somit die Betriebskosten von Schiene und Rollmaterial. Eine exakte Prüfung ist zudem unerlässlich, um die Betriebs- und Entgleisungssicherheit zu gewährleisten. Die Übernahme dieses Prüfverfahrens als Serviceleistung ermöglicht dem Fahrzeugbesitzer, die normativ aufgearbeiteten Drehgestelle direkt wieder einzusetzen. Der Prüfstand kann auch für Drehgestelle von Straßenbahnen, Triebfahrzeugen und Wagen von Vollbahnen eingesetzt werden.

Verlängerung der Maschinenlebenszeit durch umfassendes Servicepaket
Ein Vorzeigeprojekt in Sachen Nachhaltigkeit und Instandhaltungskompetenz ist die Drehgestellaufarbeitung von Instandhaltungsfahrzeugen für Oberleitungen der Baureihe 708.3 aus DDR-Altbeständen (Abb. 7). Aufgrund der Zuverlässigkeit der Maschinen und der langen Zulassungsverfahren für Neubeschaffungen entschied sich der Kunde für eine Revision der bestehenden Drehgestelle, um die Fahrzeuge weiter einsetzen zu können. Die Herausforderung bestand u. a. in der Prüfung und Überführung der mehr als 30 Jahre alten Originalzeichnungen und technischen Unterlagen zur Beschaffung der Ersatzteile – eine Dienstleistung, die vollständig von PRS übernommen wurde. Um die normative Aufarbeitung gemäß Lastenheft durchführen zu können, investierte das Unternehmen zudem in einen eigenen Drehgestellprüfstand. Seit Projektstart in 2021 wurden 14 Drehgestelle generalüberholt, weitere zehn werden bis Ende 2025 fertiggestellt.

Ein Baustein auf dem Weg zu Fit for 55
Die Aufarbeitung von Radsätzen und Drehgestellen trägt dazu bei, die Lebensdauer von Fahrzeugen zu verlängern, deren Sicherheit und Effizienz zu erhöhen, Ressourcen zu schonen und durch den Einsatz intelligenter Technologien die Zukunft der Schienenmobilität nachhaltig zu gestalten. Mit laufenden Investitionen in Prozesse, Anlagen und Prüfverfahren für das Upcycling bestehender Komponenten setzt das KRD in Freilassing Maßstäbe im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes für das System Bahn.

Publikation: Eisenbahningeneur, Ausgabe 7/2024 Autor: Martin Stummer